Diese aktuelle Studie aus dem renommierten New England Journal of Medicine birgt Sprengkraft. Denn im Kern lautet die Aussage: Wenn Patientinnen und Patienten mit neu diagnostiziertem Asthma bronchiale oder COPD direkt zum Lungen-Facharzt (Pneumologe) gehen, müssen sie folgend weniger Ressourcen des Gesundheitswesen in Anspruch nehmen, als wenn der Hausarzt die Behandlung übernimmt. Und diese Erkenntnis widerspricht dem Grundsatz der Versorgung in Deutschland, dass Patientinnen und Patienten aus Kosten- und Ressourcengründen immer erst zum Hausarzt als „Lotse im Gesundheitswesen“ gehen sollen.
In der Studie aus Kanada wurde zunächst nach Menschen gesucht, die unter einem bis dahin undiagnostizierten Asthma bronchiale oder einer undiagnostizierten COPD (chronisch-obstruktive Lungenerkrankung) litten. Über 30.000 Personen wurden telefonisch kontaktiert, und mit einem simplen Fragebogen (und einer späteren Spirometrie, also Lungenfunktionsuntersuchung) filterten die Forscherinnen und Forscher 595 entsprechend Betroffene heraus. Diese Neu-Diagnostizierten erhielten dann randomisiert entweder eine haus- oder eine fachärztliche Versorung und Behandlung.
Es zeigte sich, dass Patientinnen und Patienten, die von einem Pneumologen leitliniengerecht behandelt wurden, im Verlauf signifikant seltener Leistungen des Gesundheitswesens in Anspruch nahmen, wie z. B. Aufsuchen eines Arztes (Fach- oder Hausarzt), einer Notaufnahme oder Klinikeinweisung aufgrund respiratorischer Probleme. Zudem hatten sich die Lebensqualität und die FEV1 („Einsekundenkapazität“, ein Maß für die Lungenfunktion) durch die Behandlung eines Facharztes mehr gebessert als in in hausärztlicher Versorgung. Nebenwirkungen kamen in beiden Gruppen in etwa gleich häufig vor.
Vielleicht ist die Gesundheitsversorgung in Kanada nicht 1:1 auf Deutschland übertragbar, weshalb die Ergebnisse dieser Studie auch nicht ohne weiteres auf das deutsche Gesundheitswesen anwendbar sind – aber zum Nachdenken sollten die Erkenntnisse allemal anregen. Laut der Autoren gibt es weltweit etwa 5% Menschen mit undiagnostiziertem Asthma bzw. COPD. Und viele davon weisen Symptome auf, die unbehandelt bleiben. Die Autoren pickten entsprechende Patientinnen und Patienten mittels eines einfachen Fragebogens und Spirometrie heraus – beide Methoden sind in der Praxis leicht verfügbar und günstig.
Abschließend konstatierten die Autoren, dass auch die hausärztliche Versorgung mit positiven Veränderungen des Gesundheitszustandes der Patientinnen und Patienten assoziiert war – na immerhin das. Sollte nach diesen Erkenntnissen das „Hausarzt-ist der-Lotse-Dogma“ in Deutschland und in anderen Ländern überdacht werden?
Quelle: Aaron SD et al. N Engl J Med 2024; 390: 2061-73