Es ist Sommer, es ist Ferienzeit, und die Menschen zieht es zur Abkühlung an Seen und Strände. Dabei kann man mit einem „geschulten medizinischen Auge“ zwei wichtige Trends unserer Zeit ausmachen. Erstens: So wie die Wellen regelmäßig über den Sand am Strand rollen, so rollt auch die Adipositas-Welle zunehmend über die westliche Welt („Globesity“) – vulgo: die Bevölkerung wird immer dicker, abzulesen an der zunehmenden Anzahl an Speckröllchen. Der zweite wichtige, am Strand und im Freibad besonders gut zu beobachtende Trend ist die dauerhafte Verzierung der Haut mit Tattoos – und genau darum soll es im Folgenden gehen. Tattoos sind längst etabliert und haben sich bereits vor vielen Jahren vom Rande der Gesellschaft in deren Mitte bewegt und sind dort angekommen. „Arschgeweih“ war zwar gestern, aber andere Muster, Tribals, Röschen, Herzen und Delfine sieht man immer häufiger an versteckten oder auch exponierten Hautstellen.
Deutliche Risikoerhöhung bei tätowierten Menschen
Deshalb lässt eine aktuelle Studie aus Schweden hellhörig werden. Die Forscher führten eine sogenannte Fall-Kontroll-Studie durch, in der sie alle Fälle von malignen Lymphomen (bösartiger Krebs des lymphatischen Gewebes, insbesondere der Lymphknoten) der Jahre 2007 bis 2017 bei Menschen zwischen 20 und 60 Jahren mit einer Kontrollgruppe verglichen, die in allen wesentlichen Merkmalen vergleichbar war, nur eben KEIN Lymphom entwickelt hatten. So kamen Daten zu über 11.000 Menschen zusammen. Die Tattoo-Prävalenz betrug in der Gruppe der Menschen mit malignen Lymphomen 21% und in der Kontrollgruppe lediglich 18%. Auch wenn dieser Unterschied erstmal gar nicht so dramatisch aussieht, bedeutet er, dass das Risiko für ein malignes Lymphom bei Menschen mit Tattoos um 21% erhöht war. Besonders hoch war das Risiko, wenn das erste Tattoo vor weniger als zwei Jahren gestochen worden war – in diesem Fall betrug die Risikoerhöhung ganze 81%. Nach zwei Jahren nahm das Risiko dann jedoch wieder ab, um erst nach 11 oder mehr Jahren nach dem ersten Tattoo wieder anzusteigen. Interessanterweise spielte die Größe der tätowierten Hautoberfläche bezüglich der Risikoerhöhung keine Rolle.
Wie ist diese Risikoerhöhung durch Tätowierungen für z. B. diffuse große B-Zell-Lymphome und follikuläre Lymphome zu erklären?
Tattoo-Tinte besteht aus einer Mischung aus organischen und anorganischen Farbpigmenten und deren Vorstufen, Nebenprodukten und Additiven. Gefärbte Tattoo-Tinte kann primäre aromatische Amine, und schwarze Tinte z. B. polycyclische aromatische Hydrocarbone enthalten. In allen Formen der Farbstoffe können zudem Metalle vorkommen wie z. B. Arsen, Chromium, Kobalt, Blei oder Nickel. Viele dieser Stoffe sind als karzinogen, also krebserregend, eingestuft. Beim Vorgang des Tätowierens werden diese Stoffe zu Antigenen und durch die eigentlich intakte Hautbarriere in die Dermis gestochen. Das führt zu einer Immunantwort einschließlich zellmediierter Translokation der Antigene zum lokalen Lymphknoten. Etwa 32% der beim Tätowieren verwendeten Tinte wird so innerhalb von sechs Wochen im entsprechenden Lymphknoten wiedergefunden. Im Laufe der Zeit wandern dann bis zu 99% der Farbstoffe in die Lymphknoten. Dort tragen die Substanzen dann zur Karzinogenese (Krebsentstehung) des lymphatischen Systems bei.
Die Autoren kommentieren ihre Ergebnisse sehr deutlich dahingehend, dass eine einzige epidemiologische Studie wie die ihre KEINE Aussage über die Kausalität machen könne, also darüber, ob die Tattoo-Tinte tatsächlich auch ursächlich an den Krebsfällen ist. Diese Ergebnisse sollten, so die Autoren weiter, nun dringend durch weitere Studien präzisiert werden. Denn auch wahr ist, dass die Inzidenz des malignen Lymphoms weltweit zunimmt, und die Ursachen hierfür sind größtenteils unklar.
Nielsen C et al. Tattoos as a risk factor for malignant lymphoma: a population-based case-controll study. eClinicalMedicine (part of THE LANCET Discovery Science) 2024;72:102649